J. Klose, E. Hahn, G. W. Heinevetter, Th. Schön
Beitrag zum TQU Symposium 1998: Nachhaltige Produkt- und Prozeßentwicklung
Ulm, 18.03.1998
Die Bedeutung der Umweltverträglichkeit
von technischen Produkten nimmt im öffentlichen Interesse einen immer
größeren Stellenwert ein. Das Augenmerk richtet sich dabei in
zunehmendem Maße nicht mehr ausschließlich auf den Betriebseinsatz
des Produktes, sondern auf den gesamten Lebenszyklus von der Fertigung
bis zum Recycling. Das geschärfte Umweltbewußtsein der Öffentlichkeit
hat unmittelbaren Einfluß auf die Anforderungen, die das Produkt
erfüllen muß. Es ist Aufgabe des Konstrukteurs, auch diese zusätzlichen
Aufgaben bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen. In den vergangenen
Jahren sind eine Vielzahl von Erkenntnissen erarbeitet und veröffentlicht
worden, die dem Konstrukteur diese Arbeit erleichtern. Zudem sammeln die
Firmen und ihre Mitarbeiter mit jeder ausgeführten Konstruktion individuelle
Erfahrungen mit der Berücksichtigung ganzheitlicher Umweltaspekte
bei der Produktentwicklung. Ziel von COMMET (Constructing and Design of
machines and mechanisms using environment-friendly technology) ist es,
dem Konstrukteur den Umgang mit dieser Informationsflut zu erleichtern.
Dabei gilt das besondere Augenmerk dem Konstrukteur in KMU (kleine und
mittlere Unternehmen).
Abbildung 1: Informationsbedarf bei der Konstruktion
In vielen Bereichen decken sich Umwelt- und Kostenaspekte der Produkte. Mit dem Ziel, Kosten zu senken, sind bereits seit langem Aspekte wie die Minimierung der Werkstoffmenge und der Werkstoffvielfalt sowie Senkung des Energie- und Hilfsstoffverbrauchs Kerngedanken bei der Konstruktion. Ergänzt werden diese klassischen Bereiche durch Überlegungen zur umweltgerechten Kombination von Werkstoffen, zur Wahl umweltgerechter Hilfs- oder Betriebsstoffe. Nur ein geringer Teil dieser Informationen kann in der Ausbildung vermittelt werden oder ist in Standardwerken schnell zugänglich. Fehlen dem Konstrukteur eigene Erfahrungen auf dem jeweiligen Gebiet, sind aufwendige Recherchen notwendig, um an die Informationen zu gelangen. Diesen Aufwand kann der Konstrukteur in Praxis nur in besonderen Einzelfällen treiben (Abbildung 1: Informationsbedarf bei der Konstruktion).
Über diese wissenschaftlichen und oft theoretischen Erkenntnisse hinaus sammelt jeder Konstrukteur bei seiner Tätigkeit Erfahrungen, auch aus dem Bereich der gezielten Entwicklung umweltgerechter Erzeugnisse. Das persönliche Erfahrungswissen ist die effektivste Informationsquelle bei der Lösung neuer Aufgaben. Sie steht dem einzelnen unmittelbar zur Verfügung und erlauben ihm vielfach die gezielte Lösung selbst von komplexen Problemen. Nicht befriedigend ist aber bis heute die Aufbereitung des Erfahrungswissens zum Nutzen der gesamten Firma.
Ein weiterer Problembereich ist die Beurteilung von Konstruktionen nach Umweltgesichtspunkten. Es sind eine Reihe von Methoden und Programmen zur Durchführung von Ökobilanzen erstellt worden. Der Einsatz dieser Werkzeuge ist aber äußerst aufwendig und erfordert in der Regel ein ganzes Team von Experten. Sie sind nicht geeignet, dem Konstrukteur bei der Arbeit unmittelbar Hinweise auf die Umweltgüte seiner Entwicklung zu geben.
Aus den aufgezeigten Problemen bei der Erschließung von Umweltinformationen für den Konstrukteur ergeben sich die Ziele für das Informationssystem COMMET:
Grob läßt sich dieser Teil des Produktlebenszyklus’ in die Phasen:
Die wesentlichen Bereiche des Erfahrungswissen, die Gründe und Überlegungen, die zur jeweiligen Entscheidung führten, werden meist nicht dokumentiert. Dieses Wissen existiert nur bei den Erfahrungsträgern der Firma und wird meist nur im persönlichen Kontakt der Mitarbeiter weitergegeben. Besonders deutlich wird dies bei Problembereichen, die sich der einfachen Berechnung und schnellen Erlernbarkeit entziehen. Diese Bereiche lassen sich weder effizient in der Ausbildung vermitteln, noch sind schnelle Computerprogramme vorstellbar, die den Konstrukteur unterstützen. Dazu zählen wesentliche Bereiche der Entwicklung umweltgerechter Erzeugnisse.
Die Problematik unterteil sich in:
Abbildung 2: Struktur einer Informationseinheit
In COMMET wird eine zweidimensionale Struktur
für jede Informationseinheit realisiert. Die Oberbegriffe für
jede Teilinformation bleiben gleich. Neben festgelegten Informationsinhalten,
lassen sich zu jedem Oberbegriff nach Art und Inhalt unterschiedliche Einzelinformationen
erfassen.
Als Ordnungsschema hat sich die Ordnung der technischen Funktionselemente angeboten. Alle Funktionselemente der Maschine werden dabei den Funktionsbereichen:
Für COMMET stellte sich die Struktur nach Funktionselementen (Abbildung 3: Funktionsstruktur der Maschine (1. Ebene von 3 Ebenen)) als gute Lösung heraus. Beispiele lassen sich so sinnvoll und nachvollziehbar zuordnen. Da Maschinenteile oftmals mehrere unterschiedliche Funktionen erfüllen, sind auch mehrfache Zuordnungen möglich.
Es wird nicht der Anspruch erhoben, umfassend alle Umweltnebenwirkungen qualitativ und quantitativ zu erfassen. Dies ist bis heute nur im Rahmen aufwendiger Ökobilanzen möglich. Ziel von COMMET ist es vielmehr auf besondere Gefahren hinzuweisen und dem Konstrukteur die Möglichkeit zu geben, diese zu vermeiden.
Dieser vergleichsweise geringe Anspruch hat die Vorteile:
Als Werkzeug für solch detaillierte Bewertungen ist ein multikriterielles Bewertungssystem Bestandteil von COMMET. Rechnerunterstützt lassen sich so umweltrelevante Einzelaspekte der Varianten bewerten und die relative Umweltverträglichkeit der Varianten ermitteln.
LfdNr. | Bewertungsgruppe | Bewertungsaspekt | Merkmale für Einstufung | ||
A Idealzustand | B Akzeptabler Zustand | C Dringender Handlungsbedarf | |||
1 | Rohstoff, Ausgangsstoff | Werkstoffvielfalt | Nur ein Werkstoff oder Werkstoffe gemeinsam verwertbar mit hochwertigen Sekundärrohstoffen | Werkstoffe gemeinsam verwertbar mit minderen Sekundärrohstoffen | Werkstoffe nicht gemeinsam verwertbar |
2 | Werkstoffmenge | Leichtbau, höchste Werkstoffauslastung mit vertretbarer Sicherheit | Funktionsgerechte Dimensionierung des Produktes | Überdimensionierung (nicht funktionsnotwendig) | |
3 | Einsatz von Sekundärrohstoffen und Rezyklaten | Hoher Rezyklatanteil (100%-70%) | Mittlerer Rezyklatanteil (70%-30%) | Niedriger oder kein Anteil (30%-0%) | |
4 | Fertigung | Kennzeichnung der Schadstoffe | Maschinenlesbarer Kennzeichnung, Kennzeichnungsgrad 100% | Kennzeichnungsgrad 100%, manuell lesbar | Kennzeichnungsgrad kleiner 100% |
5 | Kennzeichnung der Konstruktionswerkstoffe | Hoher maschinenlesbarer Kennzeichnungsgrad (100%-70%) | Mittlerer Kennzeichnungsgrad (70%-30%) | Niedriger oder kein Anteil (30%-0%) | |
6 | Einsatz energiesparender Verfahren | Energiesparende Fertigung, Kaskadennutzung von Energie | Energiesparende Fertigung | Hoher Energieverbrauch | |
7 | Betrieb | Betriebsstoffvielfalt | Nur ein Betriebsstoff oder Betriebsstoffe gemeinsam verwertbar - keine toxischen Betriebsstoffe | Minimum von unterschiedliche nicht gemeinsam umweltverträglich verwertbare Betriebsstoffe - keine toxischen Betriebsstoffe | Unterschiedlichste Betriebsstoffe oder toxischen Betriebsstoffe |
8 | Betriebsstoffmenge | Geringe Betriebsstoffmenge und minimaler Verbrauch | Mäßige Betriebsstoffmenge und mäßiger Verbrauch | Große Menge und Verbrauch | |
9 | Emissionen | Keine | Gering durch Betrieb unvermeidbar | Hoch | |
10 | Lebensdauererhöhung | Geringer Verschleiß, auf wenige leicht tauschbare Teile beschränkt | Mittlerer Verschleiß, betroffene Teile tauschbar | Hoher Verschleiß, ohne Tauschbarkeit der betroffenen Teile | |
11 | Produktpflege und -betreuung | Laufende Verbesserung der Produkte, Nachrüstungsmöglichkeiten und Information der Kunden | Laufende Verbesserung der neuen Produkte, aber keine Integration in ausgelieferte Produkte | Seltene Überarbeitung der Produkte und keine Rückkopplung zum Kunden | |
12 | Wirkungsgrad | Geringer Energieverbrauch, Kaskadennutzung von Energie | Geringer Energieverbrauch | Hoher Energieverbrauch | |
13 | Recycling | Recyclingfähigkeit | Leichte Aufarbeitung mit gegenüber Neuteil gleicher Produktqualität | Aufarbeitung mit mäßigem Aufwand möglich und vermarktbare Produktqualität | Aufarbeitung nicht oder nur mit hohem Aufwand möglich |
14 | Demontagegerechtheit | Modulbauweise vollständig realisiert | Partielle Modulbauweise | Komplexe Verbundstruktur | |
15 | Reststoffe | Energiegewinnung bei Verwertung | Hohe Energieausbeute bei thermischer Verwertung, keine problematischen Emissionen und Reststoffe | Geringe Energieausbeute, für unvermeidbare Emissionen und Reststoffe sind Sekundärmaßnahmen verfügbar | Keine Energieausbeute, problematische Reststoffe und Emissionen |
16 | Energieaufwand bei Entsorgung | Kein Energieaufwand bei Entsorgung, keine energieintensiven Zusatzmaßnahmen | Energieaufwand für Entsorgung der Reststoffe und von Stoffen aus der Entsorgung gering | Hoher Aufwand für umweltgerechte Entsorgung |
Tabelle 1: 16-Punkte-Bewertungsraster (z.T. nach ITZ und DBU)
Um in der kurzen, in der Praxis zur Verfügung stehenden Zeit, zu aussagefähigen Bewertungen zu gelangen, bedarf es der systematischen Unterstützung des Konstrukteurs. Geeignet ist hier eine rechnerunterstützte Bewertung anhand eines Bewertungsrasters (Tabelle 1: 16-Punkte-Bewertungsraster (z.T. nach ITZ und DBU))
Soweit wie möglich, gibt der Konstrukteur zu jedem der Punkte eine Bewertung ein. Er hat dabei jeweils die Wahl zwischen:
A: Idealzustand
B: Akzeptabler Zustand
C: Dringender Handlungsbedarf
Am Ende dieses kurzen Prozesses kann er selbständig Aussagen über mögliche Umweltrisiken einzelner Bauteile treffen. Bereits bei der Entwicklung kann er negativen Folgen für die Umwelt vermeiden. Über diesen einfachen Prozeß erstellt der Konstrukteur zudem eine Rangfolge der Lösungsvarianten entsprechend den 16 Umweltaspekten.
Erfaßt werden praktische Lösungen aus den Partnerfirmen sowie Beispiele aus der Literatur. Zu erwähnen sind hier Fachbücher, Fachzeitschriften und Tagungsbände sowie Normen und Richtlinien. Berücksichtigung finden auch Beispiellösungen aus dem Internet.
Um den Konstrukteur auf die wesentlichen Merkmale hinzuweisen, müssen die gefundenen Konstruktionsbeispiele aufbereitet werden. Erfaßt werden zu den Beispiellösungen umweltzielbeschreibende, beispielbeschreibende und beispielbewertende Informationen. Diese Informationen beinhalten die Schwerpunkte:
Um in der kurzen Projektlaufzeit zu einem sinnvoll einsetzbaren Prototypen des Informationssystems zu gelangen, ist es notwendig, sich auf wenige Informationsbereiche zu beschränken. Für diese Bereiche steht dann eine hinreichend Anzahl von auswählbaren Beispielen zur Verfügung. Nach Auswertung der ersten erfaßten Beispiele erfolgte die Festlegung auf die vier häufigsten Umweltaspekte. Diese sind:Datenursprung Beschreibung der Maschine / des Bauteils Zugriffstruktur Werkstoffe Recycling und Reststoffe Fertigungsverfahren Betriebsangaben und Umweltbezogene Gesichtspunkte
Die gefundenen Beispiellösungen zeichnen sich durch eine unterschiedliche Aussagefähigkeit aus. Die Lösungen reichen von Prinzipdarstellungen bis zu komplexeren Konstruktionen von Baugruppen. Dies entspricht den Anforderungen der Praxis.Emissionen im Betrieb Energieverbrauch Stoffrecycling und Demontagegerechte Konstruktion.
Einen wesentlichen Teil jeder Beispiellösung
bildet die grafische Darstellungen in Form von Skizzen oder Zeichnungen.
Wie in der (Abbildung 5: Schallminderung durch querkraftfreien Antrieb)
verdeutlicht, können der Ausgangszustand sowie die verbesserte Konstruktion,
als auch mehrere Varianten der konstruktiven Lösung erfaßt werden.
Prinzipskizzen oder Konstruktionszeichnungen ermöglichen einen schnellen
Überblick über die konstruktive Lösung.
Abbildung
5: Schallminderung durch querkraftfreien Antrieb (modifiziert nach Weck)
Im dargestellten Beispiel führt in der Ausgangslösung die Durchbiegung der Getriebeeingangswelle einer Drehmaschinenantriebes bedingt durch die Riemenzugkraft zu Zahnrichtungsfehlern an der ersten Zahnradpaarung. Durch die Verschiebung der riemenseitigen Wellenlagerung in die Riemenscheibe wurde dieses Problem vermieden. Die aus der Riemenzugkraft resultierenden Querkräfte werden direkt in das Maschinengehäuse eingeleitet. Die Eingangswelle wird von diesen Kräften entlastet und somit Durchbiegung und Zahnrichtungsfehler wesentlich vermindert.
Die Integration von Kennlinien (Abbildung 6: Frequenzanalysen des abgestrahlten Luftschalls) veranschaulicht die erzielten Umwelteffekte des Konstruktionsbeispieles.
Neben der Quellenangabe und Beschreibung
der konstruktiven Lösung werden auch weiterführende Literaturangaben,
Richtlinien und Normen erfaßt. Der Nutzer erhält so die Möglichkeit,
sich eingehend mit der Problematik vertraut zu machen.
Abbildung
6: Frequenzanalysen des abgestrahlten Luftschalls (nach Weck)
Für einen ersten Eindruck sollen zwei Bildschirmdarstellungen dienen. In Abbildung 6 (Abbildung 7: Suche von Beispielen nach Schlagwörtern) wird der Anfragebildschirm dargestellt. Neben dem Vorgehen entsprechend der Funktionselementstruktur (Menüpunkt: Browser), erlaubt COMMET auch die Suche nach Schlagwörtern. Suchbegriffe können dabei aus Katalogen ausgewählt oder frei eingegeben werden.
Abbildung 7: Suche von Beispielen nach Schlagwörtern
Abbildung 8: Kurzanzeige gefundener Beispiele
Ist die Suche abgeschlossen, erlaubt COMMET die Kurzansicht der gefundenen Beispiellösungen (Abbildung 8: Kurzanzeige gefundener Beispiele). In dieser Kurzanzeige sieht der Nutzer die graphische Darstellung und eine kurze Beschreibung zu jedem Beispiel, die den primären Umweltaspekt und die technische Umsetzung beschreiben.
Für viele Anwendungsfälle, beispielsweise
bei der Suche nach prinzipiellen Lösungsmöglichkeiten, reicht
diese Kurzanzeige. Für genauere Angaben stehen für jedes Beispiel
eine Detailansicht (oder mehrere), ggf. Kennlinien, Kenngrößen,
ergänzende Texte und Hinweise auf weiterführende Informationen
zur Verfügung.
Klose, J.; Heinevetter, G.; Schön, Th.
COMMET – Desing of environment-friendly products by using practical examples, Abschnitt in: Life Cycle Networks Proceeding of the 4th CIRP International Seminar on Life Cycle Engineering 26-27 June, Berlin, Germany
London, ...: Chapman ∓ Hall, 1997Klose, J.; Heinevetter, G. and Schön, Th.
Leistungsfähige Ingenieurdatenbank zur Schallberücksichtigung in der Entwicklung und Konstruktion von Maschinen. Zakopane: CIM 96, 1996Klose, J.; Heinevetter, G.
Informationssystem zur Integration schwer faßbarer Informationsbereiche in der Produktentwicklung.
Wien: DAAAM Symposium, 1996Klose, J. (Hrsg.)
Konstruktionsinformatik im Maschinenbau.
Berlin: Verlag der Technik, 1990Pahl, G. and Beitz, W.
Konstruktionslehre.
Berlin, ...: Springer Verlag, 1997VDI-Richtlinie 2221
Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte.
Düsseldorf: VDI-Verlag, 1993VDI-Richtlinie 2243
Konstruieren recyclinggerechter technischer Produkte.
Düsseldorf: VDI-Verlag, 1990